Franz Müntefering zu Gast bei der SPD in Baccum

„Wir werden weniger, älter, bunter - die Chancen nutzen!“ Unter diesem Motto stellte einer der bekanntesten Sozialdemokraten seine Ausführungen bei einer Veranstaltung des SPD-Ortsvereins Lingen-Baccum vor 142 Zuhörern. Und die kamen - um es vorweg zu nehmen – voll auf ihre Kosten, denn der inzwischen 79-jährige ehemalige Vizekanzler präsentierte sich in guter Laune mit kernigen Aussagen.

Gut drauf wie ehedem – Franz Müntefering
Kein Platz mehr frei – über 140 aufmerksame Zuhörer im Saal Hense
V.l.n.r.: Ulla Ahrend, Reinhold Hoffmann (Ortsverein Baccum), Franz Müntefering, Andrea Kötter (Kreisverbandsvorsitzende SPD Emsland, Herbert Jäger (OV Baccum), Monika Heinen (2. Stellv. Bürgermeisterin Lingen)

SPD-Ortsvereinsvorsitzender Reinhold Hoffmann hieß den ehemaligen Generalsekretär und Parteivorsitzenden herzlich willkommen. Der Besuch geht auf eine Einladung zurück, die der Ortsverein 2009 an Müntefering aussprach. Begrüßt wurden von Hoffmann auch die SPD-Kreisverbandsvorsitzende Andrea Kötter (Meppen) und die 2. Bürgermeisterin der Stadt Lingen, Monika Heinen. Auch zahlreiche Vertreter von politischen und sozialen Verbänden waren der Einladung gefolgt.

Der aus Sundern im westfälischen Sauerland gebürtige Franz Müntefering ist ein politisches Urgestein von denen es nur noch Wenige gibt – immer geradeaus und sagt was er denkt! Dabei muss man aber nicht ganz ernst nehmen, wenn er den Vorsitz der Bundes-SPD als „schönstes Amt neben dem Papst“ bezeichnet.

In Baccum widmete er sich aber einem Thema, das in den demografischen Wandel unserer Zeit passt. „Wir werden weniger, älter, bunter und müssen die Chancen nutzen“! Müntefering: „Als ich zur Schule ging gab es 1,8 Mrd. Menschen auf der Erde. Heute sind fast 8 Mrd. und in wenigen Jahrzehnten werden es 10 bis 11 Mrd. sein. „Kann der Planet so viele Menschen ernähren“, fragt ehemalige Arbeits- und Sozialminister in NRW und auf Bundesebene im ersten Kabinett Merkel.

„Wir waren sorglos, aber in den letzten Jahren ist die Welt um uns herum nicht friedlicher geworden“. Die Welt braucht Energie um uns alle versorgen zu können. Aber die Krisen in der Welt, der Terrorismus machen es nicht einfach, zu tun was möglich ist und Jedem hilft“. Und an dieser Stelle wieder ein typischer „Münte-Satz“: „Wir müssen alle dafür sorgen, dass die Bekloppten nicht  das Sagen bekommen – nicht die Jungen und auch nicht die Alten!“

Das passt, denn jetzt kommt der Kern seiner Rede. „Wir werden älter, leben länger, haben eine hohe Lebenserwartung“. 2030 werden in Deutschland ca. 11 bis 12 Mill. über Achtzigjährige leben. Schon jetzt hat sich schon viel verändert, aber vor allem die Mobilität dieser Altersgruppe ist in den letzten Jahrzehnten imponierend gewachsen. Und die Familien haben sich verändert. Man wohnt nicht mehr mit mehreren Generationen in einem Haus. Von den Jungen werde heute berufliche Mobilität verlangt, sie wohnen oft weit entfernt von den Eltern. Und deshalb verlangt Franz Müntefering auch mehr Toleranz bei individuellen Lebensplanungen.

In Verbindung mit sinkenden Geburtenraten mahnt er die Nachwuchsförderung für die Unternehmen an. Gab es 1950 noch 1,6 Mio. Geburten in Deutschland werden diese bis 2030 auf ca. 500.000 sinken. Daher muss die Situation für Frauen im Beruf dringend verbessert werden – von der Geburt über die Kitas und Kigas, den Schulen und braucht entsprechende staatliche Unterstützung. Das gilt auch für die berufliche Aus- und Weiterbildung. Aber: „Das Problem – je besser die Ausbildung, desto weniger Kinder. Und da sind uns andere europäische Länder wie Frankreich schon weit voraus!“

Weitere Themen waren dann die Alterssicherung und ebenso im Generationenvertrag die Krankenversicherung. Hier fordert er mehr Solidarität, denn nach seiner Meinung passen 30 % privat- und 70 % gesetzlich Versicherte nicht zusammen und gefährden das System.

 

„Was machen Ältere?“ fragte er in die Runde um gleich auch die Antwort zu geben. „Demokratie ist kein Schaukelstuhl – solange Du einen klaren Kopf hast kannst Du im Rahmen Deiner Möglichkeiten mitmachen“ war seine deutliche Aufforderung für gesellschaftliches Engagement der älteren Generation. Und fügte dann hinzu: „Besser mit schwierigen Leuten spazieren gehen als alleine sein“, denn Bewegung der Beine ernährt das Gehirn!“

Er mahnte aber auch die notwendigen Mobilitätsvoraussetzungen an. Zum Beispiel Wohnen im Alter, Nahversorgung, ärztliche Versorgung – Voraussetzungen für einen „bunten“ Lebensabend. In der sich anschließenden Diskussion gab es zahlreiche Wortmeldungen zu unterschiedlichsten Themen.

„Offen streiten und die Zukunft klären und damit die Grundlage für die Zukunft verbessern, denn ein Sozialstaat kann mit Geiz ist geil nicht existieren!“ mahnte Franz Müntefering einige kritische Frager. So zum Beispiel nach der Rente mit 63, die er als Wahlgeschenk deklarierte ebenso wie die Mütterrente, aber auch zu Hartz IV, dass er als eine deutliche Verbesserung für viele Betroffene gegenüber den alten Regelungen sieht.

Wir werden immer älter. Und wäre er nicht Franz Müntefering hätte er dabei nicht noch einen drauf zu setzen. So erzählt er dann die Geschichte vom Gratulationsbesuch des Landrates in einer südlichen deutschen Region bei der ältesten Bürgerin, die ihren 106. Geburtstag beging. Auf die Frage wie es ihr denn so gehe antwortete die alte Dame, dass es ihr gut geht, vor allem seit sie wisse, dass ihre beiden Kinder im Altersheim gut untergebracht sind!

Langanhaltender Beifall zeigte dann, dass Franz Müntefering mit dem Wissen nach Hause fahren konnte, auch im Emsland dank seiner offenen Art neue Freunde gefunden zu haben.

Text:   Rudi Gaidosch

Bilder: OV Baccum